Writings by Dr. John C. Rao

Die Einheit von Individuum und Gesellschaft

(Mut zur Ethik 1996, pp. 410-412)

Obwohl zehn Minute kurz sind, bieten sie donnoch Gelegenheit die grundsätzlichen Fragen anzureissen, die sich jeder stellen muss, der an der Beziehung zwischen Individuum and Gesellschaft interressiert ist, und daran, welche Rolle die Bildung für beide spielt. Zu einem späteren Zeitpunkt sollte dies detaillieter diskutiert werden.

Drei unterschiedliche, aber schliesslich dennoch zusammenhängende Quellen wren für mein eigenes Verständnis der zu diskutierenden Fragen und ihre vielfältigen Implikationen zentral. Eine hiervon is Platons Werk Der Staat, das unter seinen Dialogen eine herausragende Stellung einnimt, weil hier die Verbindung hergestellt wird zwischen der Bildung des einzelnen Bürgers and der Aufgeklärtheit der sozialen Ordnung, in welcher die Bürger vorurteilsfrei ausgebildet wird. Eine zweite Quelle stellen die Werke der Kirchenväter dar, von Männern wie Gregor von Nyssa (4. Jh. N. Chr.), dessen Schriften sich mit der Verbindung griechischer Bildung,christlicher Lehre und Lebensführung im Hinblick auf die Vervollkommnung des Individuums in einer sozialen Ordnung beschäftigen. Durch das Hinzufügen kirchlicher Institutionen und die Ausweitung der Fragestellung auf die Position der Ewigkeit wurde das Thema komplexer. Dir dritte Quelle ist das fast gänzlich undiskutierte Werk einer grossen Anzahl von Denkern des 19. Jahrhunderts, von denen der italienische Jesuit Luigi Taparelli d’Azeglio für meine Studien der wichtigste ist. Diese Philosophen behandeln dieselben Themen wie Platon und Gregor von Nyssa, aber aktuell herausgefordert durch die Ideen und Reformed der Aufklärung, die Französische Revolution, den modernen Liberalismus und die Demokratie.

Wenn ich den Zusammenhang zwischen diesen (und weiteren) Quellen untersuche, müssen noch zwei weiterre Autoren Erwähnung finden: Professor Werner Jäger mit seinen Studien der griechischen paideia (Bildung) und deren Aufnahme und Transformation durch das Christentum sowie Emile Mersch, ein belgischer Jesuit, dessen Diskussion des Individuums, der Gesellschaft und der Erziehung im Kontext einer historisch-theologischen Abhandlung über die katholische Doktrin des mystichen Körpers Jesu stattfand. Diese Fragen sind von grosser Bedeutung, wenn wir verstehen wollen, wie die immerwährende Unterordnung unter die Gesellschaft und die Autorität Gottes die Errettung individueller Persönlichkeiten zur Ewigkeit und nicht die irgendwelcher Automaten sicherstellt.

Wenn man diese drei Quellen aufeinander bezieht, ergeben sich zwei allgemeine Schlussfolgerungen, die von immenser Bedeutung sind.

Die erste liegt darin zu erkennen, dass die Bildung, die benötigt wird, um das Individuum and die Gesellschaft zu bilden und aufzuklären und den Einzelnen zu befähigen, diese aufgeklärten Lehen im Alltag in die Tat umzusetzen, keine Sache von einigen Jahren routinemässiger Berufsausbildung ist. Vielmehr ist dies ein lebenlanges Unterfangen, welches die Schule in Gang setzen muss, es aber nicht allein auf sich gestellt vollenden kann. Dies ist eine Aufgabe, die den Einsatz jedes Werkzeugs verlangt—das das Auge sehen, das Ohr hören und der Geist wahrnehmen kann, um sich selbst zu fördern und zu schützen. (Versäumt man es, Hilfe zu suchen, ist ein unvollständiges, verzerrtes Bild über den menschlichen Zustand und das, was ihn beeinflusst, die Folge). Es handelt sich hierbei also um eine Bemühung, die immer wieder Gefahr läuft, vernachlässigt zu werden, gerade weil es so schwierig ist, das Problem zu verstehen und die Auseinandersetzung darüber weiterzuführen. Und so ist es leicht, die Früchte dieser Bemühungen einer anderen, viel einfacheren Kraft zuzuschreiben, die dasselbe aber in Wirklichkeit gar nicht leisten kann.

Die zweite Schlussfolgerung, die Resultat der ersten ist, liegt darin zu erkennen, dass individuelle und soziale Aufklärung under Vervollkommnung eng miteinander verknüpft sind, so dass die eine nicht ohne die andere erfolgen kann. Der Wille, die Vernunft und die Freiheit des Individuums haben nur eine Chance, sich selbst zu definieren und richting und effizient angewandt zu werden, wenn sie innerhalb einer Gesellschaft entwickelt und ausgebildet werden, die wissen will, welches die objective Ordnung der Dinge ist. Aussserdem, muss sie die Autorität besitzen und den Willen, diese Autorität auch zu gebrauchen, um zu schützen, was sie gelernt hat. Und dennoch kann die Gesellschaft dieses Wissen nicht erhallten und sorgfältig nutzen, ohne ihre Anstrengungen auf die inhärenten Werte alles Individuellen und Personalen zu konzentrieren, weil Gott wünscht, dass all dies vervollkommnet und nicht züruckgebunden werde.

Diese beiden Schlussfolgerungen werden won jenen Ideen und Kräften scharf zurückgewiesen, die sich über Jahrhunderte hin entwickelt haben und heute die westliche Welt dominieren. Erlauben Sie mir, das Entstehen und die Art dieser Zurückweisung und die daraus entstehende Problematik zusammenzufassen, indem ich mich auf einige Argumentte Taparelli d’Azeglios beziehe.

Die Kombinations griechischen und christllichen Gedankenguts auf dem Gebiet von Theorie und praktischer Lebensführung verlieh dem Menschen der westlichen Welt die Überzeugung, er lebe in einem geordneten Universum, in welchem sich das Individuum durch den Gebrauch natürlicher und übernatürlicher Werkzeuge Gott nähern und vervollkommnen könne. Abe die immense Anstrengung, die darin enthalten ist, die mannigfalten Disziplinen und sozialen Autoritäten zu konsultieren und als Individuum permanent vorwärtszustreben, rief eine Jagd nach Erklärungsmodellen hervor, um Dinge einfacher zu erklären unde das Handeln zu erleichtern. Für manche lag der “Schlüssel” darin, sich ausschliesslich auf übernatürliche Wiesheiten zu verlassen, die Natur als Sündernpfuhl zu verachten und den erzieherischen Wert natürlicher Werkzeuge, wie Philosophie und Kuntst, demzufolge zu diffamieren. Für andere lag der “Schlüssel” zu einer einfacheren Aufklärung in ausschliesslichen Bezug auf genau die Art von natürlicher Weisheit, welche von allem Übernatürlichen durn einen eisernen Vorhang abgetrennt wurde. Weil aber “natürliche Kenntnis” immer noch ein schrecklich weites Feld war, mussten die “Schlüssel” zur Aufdeckung der Geheimnisse der Vervollkommnung weiter eingeengt werden, bis das einzige, was einer wissen musste, um “alles zu wissen”, ein einziger Aspekt eines Wissensbereichs war, sei es Mathematik, exerimentelle Wissenschaften, Klassenkampf, Rasse, Geschichte, Blei in der Nahrung, Sezualität oder irgendeine persönliche Leidenschaft oder ein Ausdruck irgendeiner Willenskraft.

Keiner, der die natürlichen Wege zur Aufklärung verdammt, und keiner, der die geistigen Führer zurückweist oder alle natürlichen Werkzeuge ausser einem eliminieren möchte, um erleuchtet zu werden, kann logischerweise Raum haben für Ideen einer notwendigen Vereinigung des Individuums und der Gesellschaft. Wie könnte der auch? Wenn nämlich die Natur vollkommen korrupt ist, kann keine Gesellschaft irgend etwas für das Individuum tun—oder umgekehrt, weil sie logischerweise an derselben totalen Korruption leidet. Und wenn alles, was perfektioniert werden kann, automatisch durch die Anwendung eines natürlichen “Schlüssels” perfektioniert wird, dann—abhängig davon, was dieser Schlüssel ist—wird entweder das Individuum oder die Gesellschaft zur Sinnlosigkeit verdammt. Welcher Raum bleibt für soziale Autorität, wenn der persönliche Wille und seine freie Befriedigung die einzigen Dinge sind, die im Leben zählen? Welcher Raum bleift für Freiheit und individuelle Verantwortung, well alles vom Klassenkampf oder vom Geschlecht vorherbestimmt ist?

Alles, was die Jagd nach Erklärungsmodellen erreicht hat, ist eine Einschränkung der Suche nach Aufklärung, da ja die Anzahl an Werkzeugen, die gebraucht werden, um die Aufgabe zu erfüllen, reduziert, und der Charakter und der Sinn jedes verbleibenden Werkzeugs verzerrrt wird.

Dieser Reduktionismus fand aus verschiedenen Gründen Verbreitung, nicht zuletzt deshalb, weil seine einstige und gegenwärtige Stossrichtung selbst den exponenten dieser Idee unklar ist. Auch wird nirgendwo so laut wie hier verkündet, es werde dem Individuum ein Weg aufgezeigt, wie man in einem geordneten Universum Erfüllung finden könne. Aber diese Behauptung konnte nur aufgestellt werden, weil der Reduktionismus sich in einer Welt entwickeltre, die solche Themen als selbstverständlich annahm. Dies entrsprach jedoch nicht der Logik seines Arguments. Je mehr es ihm gelang, die Entwicklung zu dominieren, desto klarer war die Realität, für die der Reduktionismus einstand, für jeden zu erkennen, der sie sehen wollte. Die Völker und Institutionen, die unter seine Kontrolle fallen, limitieren den Gebrauch der menschlichen Vernunft und die Einfaltung des menschlichen Geistes willkürlich und bauen eine Welt auf, die davon ausgeht, jedes Individuum stelle ein Produkt oder ein Subjekt von Leidenschaften dar, die nicht diszipliniert werden können oder dürfen. Mit dem Wachstum dieser “schönen neuen Welt” vergessen diejenigen, die durch sie geformt wurden, dass es jemals eine wirkliche Bedeutung der Idee der Persönlichkeit, der Vernunft, der Freheit, des Fortschritts, usw. Gab, und der fortwährende Gebrauch dieser Worte resultiert in ihrer Reduktion auf Schlagworte. Im Namen der Aufklärung diktiert der stärkste Wille alles und verbietet mit dem Reduktionismus eine Untersuchung des sich abspielenden Betrugs. Und dies, darauf insistierte Taparelli d’Azeglio, stellt im Kern die Geschichte der modernen westlichen Welt dar.

Der Grund, warum ich diesen über Jahrhunderte gewachsenen Zusammenprall zweier unversöhnlicher Weltbilder betone, ist der, dass ich glaube, dies sei das sinnvollste, was ich vor einer Zuhörerschaft tun kann, die praktische Resultate verlangt und braucht. Seit 25 Jahren bin ich Mitglied einer Organisation, die sich “Roman Forum” nennt, welche sich im Kampf gegen verschiedene individuelle und soziale Probleme engagiert und aktiv ein alternatives Schulsystem fördert. Die grösste Schwierigkeit, die sich mir in diesem Kampf stellt, liegt in der mangelnden Bereitschaft der Menschen, sich mit dem Ausmass der intellektuellen und linguistischen Verwirrung in ihrem Unfeld auseinanderzusetzen. Dies hat zur Folge, dass die hehren Anstrengungen dieser Menschen, sich des einen oder anderen speziellen Misstandes anzunehmen, entweder ohne Resultat bleiben oder sich im Gegenteil verkehren. Daher wollen diese Menschen sich nur mit einem Thema und allein auf sich gestellt beschäftigen, als ob der Umstand, dass sie alles weitere ignorieren, was in ihrem sozialen Umfeld passiert, ihre Bemühungen nicht beinträchtigen würde. Oder sie versuchen tatsächlich, ihr soziales Umfeld zu ändern, indem sie mit Vernunft und persönlicher Freiheit argumentieren. Hierzu benutzen sie demokratische Institutionen, deren Prägung durch ein ganz andersartiges Weltbild sie verkennen—von dem sie selbst im übrigen ebenso beeinflusst sind—und die dazu missbraucht werden, das zu zerstören, was sie selbst ehren. Das Resultat hiervon ist, dass sie ständig überrascht sind, wenn man sie austrickst oder wenn sie erfolglos bleiben.

Wenn man verstehen möchte, was heute getan werden muss, um ethische Probleme anzugehen, muss man, wie immer, ein vollständiges und klares Bild darüber haben, wie Individuen und Gesellschaften wirklich aufgeklärt werden. Und dies heisst, wir müssen realisieren, dass solche moralischen Probleme Teil eines grösseren intellektuellen Krieges sind, dessen Themen durch den Missbrauch der Sprach stark vertuscht wurden. Wenn wir nicht zugeben, dass es einen Krieg gibt, und wenn wir nicht kämpfen, wird jeder Sieg in andered Konflikten ein sinnloses Scharmützel sein, in welchem einer vielköpfigen Hydra nur ein Kopf abgeschlagen wird.


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